20 Minuten Lesezeit
Aktualisiert: 13. März 2022
Autorin: Corina Schwarz
20 Minuten Lesezeit
Aktualisiert: 13. März 2022
Die wichtigsten Fakten:
Auch bei uns in der Photovoltaikbranche ist das Thema nun angekommen: Die Angst vor dem Blackout und der damit einhergehende Wunsch nach mehr Autarkie! Viele tausende Mitglieder zählen Gruppen in sozialen Medien mittlerweile, die sich zu dem Schreckensszenario einer tagelang ausbleibenden Stromversorgung austauschen. Jüngst wird auch seitens des österreichischen Bundesheers immer wieder vor Blackouts gewarnt. In der sicherheitspolitischen Jahresvorschau des Bundesheers von 2021 wird ein Blackout sogar als „größtes Risiko für eine nächste Systemkrise“ bezeichnet, wobei mit dem Eintritt eines Blackouts „binnen der nächsten fünf Jahre zu rechnen ist“.
Das ist freilich Grund genug dem Thema unsere Aufmerksamkeit und damit einen Artikel zu widmen. Eingeladen haben wir dafür auch jemanden, der Licht ins Dunkel bringen soll: Prof. Auer ist Professor an der TU Wien und forscht zu Energiewirtschaft und Energieeffizienz. Vor einigen Wochen haben wir ein Interview mit ihm geführt, aus dem wir für den vorliegenden Artikel auch Fachwissen schöpfen werden.
Inhaltsverzeichnis
Das Wort „Blackout“ bedeutet wörtlich aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt „Stromausfall“. Im deutschsprachigen Raum unterscheiden wir aber klar zwischen dem Zustand eines Stromausfalls und dem eines Blackouts. Um den Unterschied verstehen zu können, stellen wir uns in der kurzen Lerneinheit zuerst die Frage, wie der Strom vom Kraftwerk in die Steckdose kommt.
Kurze Lerneinheit zum Aufbau des Stromnetzes
Dazu muss man wissen, dass das nationale Stromnetz aus mehreren Ebenen besteht. Über weite Strecken befindet sich zwischen den Kraftwerken das Höchstspannungsnetz. Über Umspannwerke und Netzschaltanlagen damit verbunden befindet sich dann das Hochspannungsnetz, in dem die Grobverteilung der Energie vorgenommen wird. Die Energie aus den Kraftwerken wird mit diesem Teil des Netzes großen Industrieunternehmen zugespielt, oder in Richtung von Regionen bzw. Ballungszentren verteilt. Eine Ebene tiefer lieft dann das Mittelspannungsnetz, das mit dem Hochspannungsnetz wieder durch Transformatoren verbunden ist. In dieses Netz speisen auch kleinere Kraftwerke ein (Freiflächensolaranlagen z.B.). Darunter liegt dann das Niederspannungs- oder Ortsnetz, welches den Strom schlussendlich in die Steckdose der Privathäuser liefert.
Das Höchstspannungsnetz bezeichnet man oft auch als das Übertragungsnetz, weil es den Strom über große Strecken überträgt. In den tieferen Ebenen wird dieser übertragende Strom, dann nur mehr verteilt, was zu der Zusammenfassung der restlichen Ebenen zum Verteilnetz führt. Das Verbundnetz ist dann der Zusammenschluss aller staatlich betriebenen Übertragungsnetze. Die Worte Höchstspannungsnetz, Übertragungsnetz und Verbundnetz sind also gewissermaßen äquivalent zueinander. Das europäische Verbundnetz nennt man auch das UCTE-Netz, welches von ENTSO-E (einem Verband der Übertragungsnetzbetreiber) betrieben wird.
Übrigens wird das überregionale Übertragungsnetz, das auch mit dem internationalen Verbundnetz verbunden ist, in Österreich von der APG (Austrian Power Grid AG) betrieben. Sie ist eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Verbund AG, die zum Großteil von der Staatsholding ÖBAG verwaltet wird. Die APG transportiert rund die Hälfte des im Land benötigten Stroms und koordiniert auch den österreichischen Anteil am Verbundnetz.
Laut Herrn Professor Auer ist ein Blackout eine Unterbrechung des Übertragungsnetzes, während eine Unterbrechung des Verteilnetzes (also die kleinsten drei Netzspannungsebenen) eine Stromversorgungsunterbrechung bzw. einen regionalen Stromausfall bedeuten.
Führt diese Unterbrechung nun zu teilweisen Stromausfällen rund um den Schadensort, sind diese Ausfälle noch nicht als Blackout zu deklarieren. Man spricht erst von einem Blackout, wenn die Netzfrequenz sich außerhalb eines Toleranzbandes befindet, die europäische Netzfrequenz von 50 Hertz also um mehr als 200 Millihertz abweicht und dabei ein Teil des Netzes vom Verbundnetz abgeworfen werden muss.
„Das Gebiet rund um den Schaden wird also nicht mehr mit Last versorgt, was in Fachkreisen als „Lastabwurf" bezeichnet wird. Das wird gemacht, um zu garantieren, dass das restliche System rundherum weiterhin funktionieren kann, die Frequenz sich dort also noch im Toleranzbereich aufhält.“
Ein solches Szenario fand zum Beispiel 2003 statt, als das gesamte italienische Staatsgebiet vom europäischen Verbundnetz getrennt werden musste. (Mehr dazu in unserem Artikel zur Geschichte des Blackouts.)
Zusammengefasst ist ein Blackout also eine Unterbrechung im Übertragungsnetz, die zu einer Isolierung eines Netzgebietes führt. Der zu Lastausgleichszwecken abgeworfene Teil wird dann vom Übertragungsnetz nicht mehr mit Strom versorgt, was – im ersten Moment – zu einem vollständigen Stromausfall in diesem Bereich führt.
Ein Blackout ist eine Unterbrechung im Übertragungsnetz, die zu einer Abtrennung eines Netzgebietes führt, um die Last in restlichen Teilen des Übertragungsnetzes wieder zu stabilisieren. Eine Stromversorgungsunterbrechung hingegen ist eine temporäre Unterbrechung im Versorgungsnetz.
Die E-Control, die für die Strom und Gaswirtschaft zuständige Regulierungsbehörde in Österreich, unterteilt die Stromunterbrechungsursachen in ihrem Bericht zur Ausfall- und Störungsstatistik für Österreich 2021 wie folgt:
Diese Gründe sind jedoch nur Gründe zur Stromversorgungsunterbrechung aus der Sicht der Endkunden. Geht also bei Ihnen zu Hause das Licht aus, kann man diese Unterbrechung (laut E-Control) in eine der oben angeführten Kategorien einordnen. Begrenzen wir aber oben angeführte Unterbrechungen auf das Übertragungsnetz, können wir anhand der oben genannten Kategorien eine Einteilung der Blackout-Ereignisse vornehmen.
Treten keine dieser Ausfälle auf, dient im Normalfall die Netzregelung, die das Ziel der Stabilisierung der Frequenz (in Europa um die 50 Hertz) hat, stets für das Erhalten eines Gleichgewichts zwischen Erzeugung und Verbrauch. Dafür kommunizieren Teilbereiche des Stromnetzes (Regelzonen) miteinander über Überschuss und fehlende Leistung und gleichen somit Erzeugung und Verbrauch für sich aus. Diese Mechanismen treten auch in Kraft, wenn beispielsweise ein Betriebsmittel im Übertragungsnetz plötzlich defekt wird.
Aufgrund dieser Netzregelung sind die oben genannten Gründe deshalb im Allgemeinen kein Grund für einen überregionalen Stromausfall bzw. ein Blackout. Überregionale Stromnetze werden nämlich nach dem (n−1)-Kriterium betrieben.
Das (n-1)-Kriterium
Möchte man in Sachen Netzstabilität mitreden, muss man über das (n-1)-Kriterium Bescheid wissen. Dieses stellt sicher, dass bei Ausfall eines Betriebsmittels im Übertragungsnetz (z.B. Leitung, Transformator, Kraftwerk) die weiterhin im Betrieb befindlichen Betriebsmittel in der Lage sind, sich an die neue Betriebssituation anzupassen, ohne dabei zu Schäden bzw. Ausfällen im System zu führen. Im österreichischen Übertragungsnetz wird dieses Prinzip beinahe minütlich neu berechnet und somit sichergestellt.
Ähnlich wie in Flugzeugen also, wo sicherheitsrelevante Systeme und Bauteile auch mindestens zweimal vorhanden sind, gibt es also auch im Stromnetz immer Vorsorge für eine Krise. Diese Redundanz führt dann einfach gesagt dazu, dass das Stromnetz immer Reserveenergie bereithält.
Das (n-1) – Kriterium auf Übertragungsnetzebene stellt sicher, dass bei Ausfall eines zentralen Betriebsmittels es noch zu keinen Ausfällen im Stromsystem kommt.
Wir halten fest: Für das Eintreten eines Blackouts müssen also mindestens zwei Betriebsteile des Übertragungsnetzes ausfallen. Dass der zeitgleiche Ausfall von zwei wichtigen Betriebsmitteln (einem (n-2)-Szenario) aber schon zwangsläufig zu einem Blackout führt, ist dadurch nicht notwendigerweise gegeben. Am Beispiel des Ereignisses im Juli 2021 kann beobachtet werden, dass ein solches Szenario mit überregionaler Planung und Koordination in Echtzeit verhindert werden kann. (Mehr dazu in unserem Artikel zur Geschichte des Blackouts.)
In der öffentlichen Debatte sind es jedoch oft indirekte Gründe, die im Zusammenhang mit dem Eintreten eines Blackouts genannt werden. So wird regelmäßig von der „Gefahr der Erneuerbaren“ gewarnt, die das System instabiler und somit anfälliger für Komplettausfälle machen sollen. An zweiter Stelle wird die Liberalisierung der Strommärkte rund um die Jahrtausendwende angeführt, die zu massiver Vernachlässigung der Infrastruktur und zunehmender Gefährdung der Versorgungssicherheit führe.
Mit Herrn Professor Auer haben wir diesen zwei mutmaßlichen Gründen auf den Zahn gefühlt.
Zur Mutmaßung des Großausfalls des europäischen Stromnetzes wegen der erneuerbaren Energien findet Herr Professor Auer klare Worte:
„Diese Argumentationskette, dass die erneuerbaren Energien unser Netz auf einen Blackout hin belasten, ist absoluter Blödsinn. Das ist sachlich und fachlich schlichtweg nicht haltbar.“
Dass Netzengpässe in der Transitionsphase zunehmen, sei zwar korrekt, jedoch sind solche Situationen mit eingeplante Betriebssituationen, für die die Übertragungsnetzbetreiber gerüstet seien. Mit dem Einhalten der geplanten Netzinfrastrukturausbauziele könne man solche Netzengpässe auf ein Minimum beschränken.
Ein hartnäckiges Argument einiger Akteure bleibt jedoch: „Kohle- und Atomausstieg werden zu fehlenden Grundleistungen und dementsprechenden Einbußen in der Versorgungssicherheit führen.“ Dem muss jedoch entgegnet werden, dass eine Kraftwerksstilllegung immer Hand in Hand mit einer Versorgungssicherheitsprüfung gehen muss. Ein Kraftwerk wird also erst dann vom Netz genommen, wenn das Einhalten der Versorgungssicherheitsstandards (unter anderem das (n-1)-Kriterium) sichergestellt ist. Für die Energiewende werden auch zusätzliche Regulierungen in Form von Gesetzen implementiert, die – vorgeschlagen von den Übertragungsnetzbetreibern – zu zusätzlichen Sicherheiten in Bezug auf die Herausforderung der Erneuerbaren führen. Bei dem geplanten Kohle- und Kernkraftausstieg in Deutschland findet also regelmäßig ausführliche transnationale Kommunikation zwischen Politik, Regulierungsbehörden und Übertragungsnetzbetreibern statt, die ein versorgungssicheres Funktionieren des europäischen Verbundnetzes zum Ziel hat.
Mit geringem Ausbau der Gaskraftwerke in Deutschland und einem Beibehalten der Gaskraftwerkskapazitäten in Österreich kann – trotz massivem Ausbau der Erneuerbaren – die Stabilität des Stromnetzes garantiert werden. Das widerspricht dann auch nicht unseren Klimaneutralitätszielen, wenn wir die Verwendung dieser Gaskraftwerke sukzessiv minimieren und mittels Power-to-Gas (P2G) schließlich einen klimafreundlichen Betrieb ermöglichen. Gaskraftwerke bleiben also relevant, solange wir nicht genügend Speicherkapazitäten (z.B. in Form von elektrochemischen Speichern bzw. Wasserstoff-Speichern) zur Verfügung haben, werden aber, bei einem Ausbau von Netzen und Speichern, der im besten Fall Hand in Hand stattfindet, immer weniger ausgelastet sein. Das alles berücksichtigt, ist Systemsicherheit mit 100 % Erneuerbaren möglich!
Durch die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine, werden Gaskraftwerke auch als Brückentechnologie kritisiert. So schüren diese die Abhängigkeit von Erdgas aus Russland weiter. Der Bundesverband Erneuerbarer Energien (BEE) warnt dabei aber vor einem "energiepolitischem Rückwärtsgang", der eine Rückbesinnung auf Kohle und Atomkraftwerke legitimieren könnte. Anstatt dessen müsse viel eher das Biogaspotential vollständig ausgeschöpft werden, während der Ausbau der erneuerbaren Energien massiv zu beschleunigen sei.
Anders verläuft die Argumentation bei dem Einwand der Liberalisierung der Strommärkte, der immer wieder als Grund für großflächige Netzstörungen angeführt wird. Herr Professor Auer meint ganz klar, dass eine zunehmende Vernachlässigung der Infrastruktur zu Ausfällen führen kann. Investitionen in die Wartung bzw. Erweiterung der Netze gehe schon seit Jahren zurück, wie nachfolgende Abbildung eindrücklich veranschaulicht.
Für die Netzstabilität in Europa muss deshalb die Wichtigkeit der Reinvestition in die bestehende Infrastruktur und der Ausbau des Verbundsystems (gemäß dem Ten-Year Network Development Plan (TYNDP)) betont werden. Auch in Österreich sei man gut beraten, der APG die Ausführung des Masterplans 2030 zu ermöglichen. Warum dieser Ausbau nicht zwingend zu höheren Strompreisen führt, erklärt Herr Professor Auer auch in unserem Interview. Dabei macht er klar, dass der Netzausbau auf Verbundnetzebene die Notwendigkeit von kostspieligen kurzfristigen Änderungen der Kraftwerkeinsätze (auch Redispatch genannt) verringern und somit ein gleichbleibendes bzw. möglicherweise sogar niedrigeres Preisniveau garantiert werden kann, während die Versorgungssicherheit ausgebaut wird.
Aber nicht nur der Ausbau der Netzkapazitäten muss vorangehen, wenn wir im DACH-Raum auf 100 % Ökostrom umsteigen wollen. Auch ein neues Strommarktdesign für die Integration fluktuierender erneuerbarer Energien muss laut einer Studie des Bundesverbands der erneuerbaren Energien (in Zusammenarbeit mit 70 Stakeholdern der Energiebranche und dem Fraunhofer Institut) angedacht werden. So kam man zu dem Schluss, dass das heutige System auf konventionelle Energieträger zugeschnitten ist und ungeeignet entworfen wurde, um die notwendigen Mengen an Windkraft und Photovoltaik wirtschaftlich in den Markt zu integrieren. Um negative Ökostrompreise bzw. eine Deregulierung des erneuerbaren Stroms zu verhindern, sollte es in Reformschritten zur Einführung variabler Netzentgelte, zur Absenkung der Stromnebenkosten, ausgebauten Fördermaßnahmen im Bereich der Speicher und einer „bivalenten“ Nutzung der Speichereinheiten (der Beladung des Speichers aus dem Netz und der erneuerbaren Energiequelle) kommen. Industrie und Bioenergieanlagen sollen zudem flexibler betreibbar sein.
Die deutsche Studie stellt aber auch klar, dass trotz Weiterführung des bisherigen Strommarktmodells und dem Kohleausstieg in Deutschland bis 2030, „der Stromverbrauch in Deutschland zu jeder Stunde gedeckt sein wird“. Also: Auch dann, keine Blackoutgefahr. Der Nachteil: Erst zwischen den Jahren 2040 und 2050 wird ein förderfreier, wirtschaftlicher Betrieb möglich sein. Mit den vorgeschlagenen Maßnahmen der Strommarktreform könnten wir dagegen einen förderfreien Betrieb bereits um 2035 sehen, was erheblich Steuergelder sparen würde.
Auch Professor Auer thematisiert in unserem Interview, dass es notwendig ist, das Strompreissystem zu reformieren. Er spricht sich dafür aus, Strompreise für Endkunden zu flexibilisieren. Agora Energiewende-Experte Philipp Litz rät ebenfalls dazu, dem Potenzial des Lastmanagements auf Verbraucherseite mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Industriebetriebe könnten allerlei (z.B. thermische) Prozesse dann fahren, wenn günstige und demnach viel Energie zur Verfügung steht. Es gilt also, die Verbraucherseite mit in das Management miteinzubeziehen, indem Preissignale dort stärker zu spüren sind.
Um unsere elektrische Energieversorgung zuverlässig und wirtschaftlich zu gestalten, müssen wir die Netzausbaupläne bzw. Netzsanierungspläne der Übertragungsnetzbetreiber ermöglichen und ein neues Marktdesign für die möglichst günstige Integration fluktuierender Erneuerbaren diskutieren. Im nächsten Schritt müssen Speichereinheiten ausgebaut werden, um die übrig gebliebenen Gaskraftwerke abzulösen.
Versucht man nun die Versorgungssicherheit eines Netzsystems zu quantifizieren, werden verschiedenen Konzepte gebraucht. An vorderster Stelle und wohl den meisten bekannt, sei hier der SAIDI (System Average Interuption Duration Index)-Wert genannt. Dieser gibt die durchschnittliche Versorgungsunterbrechung je angeschlossenem Letztverbraucher innerhalb eines Kalenderjahres an. Der Wert wird in Minuten angegeben und drückt die kundenbezogene mittlere Unterbrechungsdauer aus. Den folgenden Grafiken ist der SAIDI-Wert für Österreich und Deutschland zu entnehmen.
In der Grafik der Bundesnetzagentur wird jedoch deutlich, dass der SAIDI-Wert lediglich Aufschluss über die Unterbrechungen im Mittel- und Niederspannungsnetz liefert, was noch keine Ausfälle im Verbundnetz und somit auch keinen Blackout zur Folge hat. Aufmerksamen Lesern und Leserinnen wird dies wohl aufgefallen sein. Bevor wir den SAIDI-Wert aber als unzureichend zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeit eines Blackouts abtun, möchten wir uns noch folgender Aufschlüsselung widmen:
Demnach ist die Rückwirkungsstörung (die einen Fehler in den übergeordneten Netzebenen zur Folge haben kann) mit 1,27 % eine der wenig wahrscheinlichsten Ursachen für einen Stromausfall. Daraus folgt die vielleicht banale Aussage, dass viel mehr Fehler im Verteilnetz zu tatsächlichen Stromausfällen bei Endverbrauchern führen, als es Störungen im Übertragungsnetz tun.
Der SAIDI-Wert kann also nicht zur Quantifizierung der Wahrscheinlichkeit eines Blackouts herangezogen werden, ist aber interessant im Hinblick auf die Versorgungsstabilität im Ländervergleich. Damit können beispielsweise Netzsysteme weltweit gegenübergestellt werden. Professor Auer konkludiert in dem Interview mit uns:
„Das Europäische [Stromnetz] ist dabei auch das beste weltweit und dieser Wert [der SAIDI-Wert] ist Ausdruck davon.“
Auch die nachstehende Grafik zeigt: Es sind überwiegend europäische Stromnetze, die im globalen Vergleich Spitzenpositionen einnehmen.
Der SAIDI-Wert misst die Versorgungssicherheit beim Endkunden. Er kann zwar zu internationalen Vergleichszwecken bezüglich der Netzstabilität herangezogen werden, liefert aber keinerlei Beitrag zur Wahrscheinlichkeitsermittlung eines Blackout-Szenarios.
Eine Quantifizierung der Wahrscheinlichkeit eines Blackouts ist also schwer machbar, wie wir bereits im Interview mit Herrn Professor Auer feststellen konnten.
„Beim Verbundnetz braucht es aber auch keine Statistik zur Festlegung der Stabilität. Diese Einzelereignisse, die bis jetzt zum Blackout geführt haben, kann man ja auf einer Hand abzählen.“
Um das Szenario eines möglichen Blackouts also besser zu verstehen, bleibt nichts anderes übrig, als sich der Geschichte zu widmen und daraus zu lernen. Dem haben wir sogleich einen eigenen Beitrag gewidmet, der sich mit den prominentesten vergangenen Blackoutereignissen in Industrienationen beschäftigt.
Die zentrale Aussage des Artikels? In den vergangenen 20 Jahren waren es in Europa vier Events, die das kontinentaleuropäische Verbundnetz zu einer Aufsplittung veranlassten: Italien 2003, Mitteleuropa 2006, Türkei 2015 und Jänner 2021. Durch koordinierte transnationale Kommunikation konnte ein größerer Schaden, beispielsweise in Form eines ganztägigen, überregionalen Blackouts, verhindert werden. Aus all diesen Ereignissen konnte der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) wertvolle Schlüsse ziehen, die das System in Zukunft resilienter machen sollen.
Zuallererst rufen wir uns die Definition eines Blackouts wieder ins Gedächtnis: Ein Blackout ist eine Unterbrechung im Übertragungsnetz, die zu einer Abtrennung eines Netzgebietes führt, um die Last in restlichen Teilen des Übertragungsnetzes wieder zu stabilisieren.
Die Dauer der Stromlosigkeit hat in dieser Definition keinen Stellenwert. Sehr wohl von Bedeutung ist die Dauer aber, wenn wir über den möglichen gesamtwirtschaftlichen Schaden in einem Blackout-Szenario sprechen möchten. In Österreich liegt der Schaden bei einem überregionalen Stromausfall von 24 Stunden bei 1,2 Milliarden Euro. Die Frage der Dauer ist deshalb auch von Wichtigkeit, weil Notstromreserven darauf ausgelegt werden müssen. Für einen solchen Fall werden auch Technikfolgenabschätzungen vorgenommen, wo die Dauer des überregionalen Stromausfalls dann je nach Szenario variiert wird.
Laut Professor Auer liegt die Wahrscheinlichkeit des Ausbleibens der Stromversorgung in Österreich bzw. ganz Mitteleuropa für mehrere Tage bis zu einer Woche aber bei quasi Null. Dennoch rät das Innenministerium Österreichs, sich für einen „vierzehntägigen Campingurlaub in den eigenen vier Wänden“ vorzubereiten. Solche Aussagen verschreibt sich dann auch die „Prepper-Szene“, in der sich Menschen auf eine längere Krisen- bzw. Katastrophensituation vorbereiten. Im Szenario Blackout stellt man sich etwa mit alternativen Strom- bzw. Heizquellen und Essens- und Trinkwasservorräten auf einen tage- bis wochenlangen Stromausfall ein.
Wie gut sind wir in Österreich aber nun vorbereitet auf das mögliche Szenario eines 24-stündigen elektrischen Energieverlustes? Das Bundesministerium für Inneres und die APG unterzeichneten im September 2019 einen Kooperationsvertrag, der eine Blackout-Vorsorge für Österreich sein soll. Darin wird festgelegt, wie die Wahrung der Sicherheit in Österreich bzw. der Wiederaufbau des Stromnetzes seitens der APG simultan passieren kann. In dem Papier wird von einem gesamtösterreichischen Stromausfall von bis zu einer Woche ausgegangen. Ein ähnlicher Fall wurde auch schon im Rahmen der Krisenübung Helios erprobt.
Aber auch Netzwiederaufbauübungen werden immer wieder von Übertragungsnetzbetreibern vorgenommen, die den Ernstfall üben sollen. So gibt die APG zwei Ansätze an, nach denen der Wiederaufbau im Ernstfall geschieht: „Top down“ und „Bottom up“. „Top down“ meint die Zuschaltung eines funktionierenden Nachbarnetzes, während „Bottom up“ Österreich als Netzinsel durch schwarzstartfähige Kraftwerke (Kraftwerke, die ohne das Stromnetz angefahren werden können) ermöglicht. Vorwiegend den zweiten Ansatz übt man an der TU Graz im Rahmen von Simulationen. Dabei geht man von allerlei Szenarien aus, die großräumig Stromversorgungsunterbrechungen auslösen und im Rahmen der Simulationsübungen wieder ausgeglichen werden müssen. Wie lange so ein Ausgleich dann im Ernstfall dauert, ist schwer abzuschätzen. Bezüglich der Dauer des Netzwiederaufbaus schreiben etwa die Übertragungsnetzbetreiber Deutschlands in ihrem Bericht zur Betrachtung zum Netz- und Versorgungswiederaufbau (unter der Annahme einer restlichen funktionsfähigen Netz- und Erzeugungsinfrastruktur) folgendes:
„Aus bisher vorliegenden Erkenntnissen, etwa basierend auf regelmäßig durchgeführten Simulatortrainings, kann davon ausgegangen werden, dass der Netzwiederaufbau einen Zeitbereich von 8 bis 10 Stunden erfordert.“
In dem Bericht wird auch betont, dass jede relevante Anlage, die zum Netzwiederaufbau von Nöten ist, in einer Zeitspanne von 24 bis 72 Stunden über eine Notstromfunktion verfügen muss.
Obwohl das Eintreten eines mehrtägigen vollständigen Blackouts in Mitteleuropa sehr unwahrscheinlich ist, ist die DACH-Region - und im Speziellen Österreich - darauf vorbereitet.
Im Rahmen der Recherche zu diesem Artikel sind wir einige Male auf widersprüchliche Aussagen gestoßen. Vor allem aber auch auf Medien mit reißerischen Überschriften, die mutmaßlich die Angst der Bevölkerung vor Chaos anzusprechen versuchen. Man ist also auch in dem Thema Blackout gut beraten, sich stets Zeit bei der Recherche zu nehmen und dem Prüfen der Legitimität der Artikel besonderes Augenmerk zu schenken. Dabei ist es auch wichtig, die zitierten Experten bzw. Expertinnen und Quellen wiederholt zu hinterfragen.
Dieses genaue Hinschauen ergibt dann gegebenenfalls, dass sich Beiträge im Zirkelschluss zitieren. Ein Beispiel dafür liefert das österreichische Bundesheer: In der sicherheitspolitischen Jahresvorschau werden zur Legitimierung der Einstufung des Gefahrenpotentials eines Blackout-Szenarios als das "größte Risiko für eine nächste Systemkrise" Personen zitiert, die ihrerseits wiederum das Bundesheer als Untermauerung der eigenen Gefahreneinstufung heranziehen.
Außerdem: Wie wir in oben angeführter Diskussion feststellen konnten, gelingt eine Wahrscheinlichkeitsangabe für einen Blackout aufgrund von vorhandenen Informationen nicht. Werden also Szenarien angeführt, die das Ereignis eines Blackouts als „unvermeidbar“, „sehr wahrscheinlich“ oder ähnliches bezeichnen, ist die Validität bzw. Qualität dieser Aussagen abermals zu prüfen.
Das Blackout-Thema ist ein viel diskutiertes und in Teilen auch emotionales Thema. Meinungen von validen Informationen zu unterscheiden, ist in dieser Debatte oft schwierig. In diesem Artikel haben wir versucht, Struktur und ein bisschen mehr Klarheit in das Thema zu bringen.
An erster Stelle stand dabei die Definition eines Blackouts. Wir konnten zusammenfassend feststellen, dass ein Blackout eine Unterbrechung auf Übertragungsnetzebene ist, die in weiterer Folge zur Aufteilung des Verbundnetzes (einer Zusammenschaltung aus Übertragungsnetzen) und einem sogenannten „Lastabwurf“ führt. Dieser Lastabwurf isoliert dann eine Region vom restlichen Verbundnetz, was zur Folge hat, dass diese im Inselbetrieb nach dem Netzwiederaufbau schließlich mit dem überregionalen Verbundnetz synchronisiert werden muss. Blickt man zurück in die Geschichte des europäischen UCTE-Netzes, kam es zu einem solchen Vorfall bereits zwei Mal. Im Jahre 2003, als das gesamte italienische Staatsgebiet als Last abgeworfen wurde, und im Jahre 2015, als die Türkei das gleiche Schicksal ereilte.
Grundsätzlich wird die Versorgungssicherheit aber durch eine Vielzahl von Sicherheitsmechanismen garantiert. Dazu zählen zum Beispiel die Netzregelung (mittels Primär-, Sekundär- und Tertiärregelung) und die ständige Überprüfung des (n-1)-Kriteriums. Zudem sind das europäische Verbundnetz — und insbesondere die Übertragungsnetze der DACH-Region — die zuverlässigsten Stromnetze weltweit und das, obwohl der Anteil der erneuerbaren Energien seit Jahren zunimmt. Bei plangerechtem Netz- und Speicherausbau, Investitionen in die Netzinfrastruktur und beschleunigtem Ausbau der EE-Kapazitäten führt selbst das Abschalten der bestehenden fossilen Kraftwerkskapazitäten nicht zu einem erhöhten Blackout-Risiko. Zudem werden bei diesen Abschaltvorgängen all die oben genannten Sicherheitsstandards immer davor sichergestellt.
Dass es aber durch den Ausbau der erneuerbaren Energien zu einer größeren Fluktuation von Leistung und demnach dem Bedarf von mehr regelbarer Blindleistung kommt, ist korrekt. Dafür müssen auch Maßnahmen getroffen werden, wie beispielsweise Investitionen in die bestehende Infrastruktur und den Ausbau des überregionalen Übertragungsnetz. Stromkosten könnten dadurch langfristig sogar reduziert werden.
All diese Herausforderungen der Energiewende sind bekannt. Übertragungsnetzbetreiber, Regulierungsbehörden und Forschungsinstitute arbeiten an einer schrittweisen Vorbereitung der Infrastruktur, des Strommarktes und der zusätzlich notwendigen Systemrichtlinien. Sollten wir die Vorbereitungen nicht zeitgemäß treffen, droht ein Verfehlen der Klimaziele, bzw. der Erneuerbaren-Ausbauziele. Ein erhöhtes Versorgungssicherheitsrisiko droht uns dadurch aber noch nicht. Lediglich das Verfehlen der Netzsanierungs- bzw. Ausbauziele könnte zu häufigeren Versorgungsunterbrechungen führen, die teilweise auch in Form von gezielten Lastabwürfen stattfinden könnten. Ein Zivilisationskollaps steht uns aber deshalb noch nicht bevor.
Kombiniert man all das Gelernte, kommen wir zu dem Schluss, dass ein Blackout, der eine Dauer von 24 Stunden überschreitet - auch in Anbetracht der ausgiebigen Vorbereitungen auf ein Risikoszenario seitens der Übertragungsnetzbetreiber – sehr unwahrscheinlich ist.
Basierend auf dem Artikel finden sich nachstehend Quellen, die zur Eigeninformation dienen können:
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